Wir kennen das: Mangelhafte Ware telefonisch reklamieren. Mitarbeiter persönlich kündigen oder selbst gekündigt werden. Irgendein Ansuchen per Post oder E-Mail übermitteln.
Wer sich dabei im Ton vergreift, hat mitunter gleich verloren. Denn der Ton macht bekanntlich trotz aller Digitalisierungen immer noch die Musik.
Und auch Autos.
Ja, richtig gelesen, Ton macht Autos. Es geht hier natürlich nicht um angemessenes Benehmen oder gar den Sound, sondern um das Material.
Doch das Wortspiel war einfach zu verlockend, und zudem stimmt’s: Der richtige Ton hilft (essenziell!) bei der Herstellung eurer Autos.
That’s the way
Wie das funktioniert, welch’ außergwöhnlicher Handwerkskunst es dafür bedarf, und wieviel Emotionalität und Arbeitsstunden in einem solchen Modell stecken, hat Ford bei einem wunderbaren Workshop demonstriert.
Wenn eure Kinder also begeistert aus Plastillin Gegenstände formen – dann ärgert euch nicht über Reste von Knetmasse in Teppichen, Kleidung oder Haaren. Es könnte der Beginn einer tonangebenden Karriere sein!
Am Anfang war die Skizze
Es beginnt damit, dass Autodesigner ein neues Modell skizzieren. Diese Skizze bekommt der Ton-Modellierer sprichwörtlich in die Hand gedrückt, mit dem Auftrag: Mach’ was d’raus, was Anschauliches, was zum Angreifen.
Anhand dieses Entwurfs wird ein dreidimensionales Modell am Computer errechnet und ein maßstabgetreues Gerüst aus sehr leichtem Modellierschaum gefräst. Darauf kommt nun ein Haufen Ton, etwa 800 Kilogramm.
Zur Körpermaske, bitte
Vor dem Auftragem wird der Ton etwas erwärmt – weniger wegen straffender oder glättender Wirkungen, sondern weil er somit weicher und formbarer ist. Sobald das Material (ein speziell mit Wachs vermengter Industrieton) abgekühlt ist, kann es präzise und detailliert bearbeitet und jede Änderung und jedes Experiment jederzeit wieder rückgängig gemacht werden – ich hab’s selbst ausprobiert, einfach faszinierend!
Thomas Kalker, seit etwa 20 Jahren Modellierer bei Ford, demonstriert an einem Modell des Modells, wie gestaltet wird.
Am echten 1:1-Musterauto schabt, kratzt, schürft und formt in Wirklichkeit dann ein Team von etwa 6 bis 8 Personen in einer Art Künstlerwerkstatt. Als Werkzeug ist nahezu alles erlaubt.
Operations-Besteck
Mit Klebeband werden charakteristische Linien markiert, mit Raspel, Spachtel, Hobel, Löffel typische Formen gestaltet. Die Arbeiten finden nach den ersten gröberen Modellagen ganz zum Schluss nur mehr im Viertelmillimeter-Bereich statt, im wahrsten Sinne der Worte also Millimeterarbeit um Haaresbreite – und das stets händisch!
So eine Pitzelei
Ungefähr ein Jahr lang dauert der Prozess, bis aus der ersten Zeichnung das endgültige Ton-Modell entstanden ist. Während dieser Zeit arbeiten Modellierer und Designer eng zuammen.
Die definitive Skulptur wird schließlich foliert, damit das Modell besser von Dynamikern, Technikern und Ingenieuren beurteilt und finalisiert werden kann.
Präzision trifft auf Kreativität
Immerhin müssen neben der Verwirklichung von kreativen Vorstellungen auch sicherheitstechnische Winkel eingehalten und EU-Vorgaben Folge geleistet werden. (Übrigens mit ein Grund, warum es vor 50, 60 Jahren eine viel größere Vielfalt an Formen gab und heutzutage sehr viel einheitlichere und verwechselbarere Auto-Designs zu sehen sind.)
Sämtliche harte Teile wie Kühlergrill oder Seitenspiegel, früher auch aus diesem speziellen Lehm geschaffen, stammen heutzutage aus dem 3-D Printer und sind leicht zu schleifen und zu verchromen.
Das Endprodukt (auch das Interieur wird so modelliert) wird schließlich gescannt, gelasert, gewasauchimmert, damit ihr schlussendlich in eurem neuen stylischen Kuga, Fiesta, Focus oder im konkreten Fall Mondeo rumflitzen und Eindruck machen könnt.
Ein paar Fakten
- 5 von etwa 30 Ton-Modellierern bei Ford sind Frauen, Tendenz steigend
- 1 kg Industrieton kostet etwa 3,– Euro
- 186.341 kg Knetmassse werden pro Jahr in der Auto-Ton-Werkstatt verwendet
- ein 1:1-Modell wiegt etwa 2,5 t, das ist so viel wie ein indischer Elefant
- 4.840 m2 Architekturfolie, etwa die Größe eine Fußballfeldes, werden pro Jahr bei Ford verklebt
Zum Anbeißen
Natürlich nicht Thomas Kalker, wobei der ein Fescher, Kluger und Sympathischer ist. Nein, ich meine das Mondeo-Modell. So wie’s da appetitlich steht, hätte es genau so gut aus Marzipan oder Schokolade sein können. Aufgrund ordentlich Kohldampfs nach der Anreise hätte ich fast ein Stück gekostet …